Uni Münster intensiviert Kontakte in Brasilien
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Im aktuellen Dossier „vernetzt & interdisziplinär“ beschreibt die Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit die vielfältigen Formen der Zusammenarbeit an der WWU. Aus diesem Anlass begleiten wir den Rektor und Vertreter des Brasilien-Zentrums in dieser Woche auf ihrer Reise nach Brasilien – die WWU pflegt intensive Kontakte mit dem größten Land Südamerikas.

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Fortschritte bei allen Besuchen

Die WWU-Delegation nahm an fünf Tagen in drei Städten zahlreiche Termine wahr – ein Überblick

Fotos

Aus Anlass des Besuchs aus Münster hisste die Fiocruz-Stiftung vor ihrem Hauptgebäude die deutsche Flagge.
Aus Anlass des Besuchs aus Münster hisste die Fiocruz-Stiftung vor ihrem Hauptgebäude die deutsche Flagge.
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  • In Brasilia besichtigte die WWU-Delegation auch das Denkmal des ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Juscelino Kubitschek.
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  • Die Zukunft der brasilianischen Stipendien-Politik stand im Mittelpunkt des Gesprächs von Capes-Präsidentin Mercedes Bustamante, dem Capes-Direktor für internationale Beziehungen, Rui Oppermann (2.v.l.), mit WWU-Rektor Johannes Wessels (r.) und dem wissenschaftlichen Leiter des Brasilien-Zentrums der WWU, Bernd Hellingrath.
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  • Der Eingang des zentralen Gebäudes der Fiocruz-Stiftung in Rio de Janeiro ist ein architektonisches Highlight.
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„Angesichts des derzeitigen Standes der Pandemie und der (wissenschafts-)politischen Lage“, prognostizierten der wissenschaftliche Leiter und die Geschäftsführerin des Brasilien-Zentrums, Prof. Dr. Bernd Hellingrath und Anja Grecko Lorenz, vor der Reise von WWU-Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels in den größten Staat Südamerikas, „ist der aktuelle Zeitpunkt ideal, um ausgewählte Partnerinstitutionen im Land zu besuchen und damit Impulse für eine Intensivierung der bestehenden Zusammenarbeit zu setzen.“ Zudem liege der letzte hochrangige WWU-Besuch in Brasilien bereits gut vier Jahre zurück. Mit wem kamen Johannes Wessels und die WWU-Delegation ins Gespräch? Was waren die zentralen Themen? Und wie ist die Lage im Land nach dem Regierungswechsel im Januar 2023 zu beurteilen? Ein Überblick über die wichtigsten Stationen:

Besuch der Universität São Paulo (USP)

Die USP ist nicht irgendeine der insgesamt rund 2.600 brasilianischen Hochschulen, es ist eine der Top-3-Universitäten – nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika. 1934 gegründet, ist sie mit fast 100.000 Studierenden zum einen die mit Abstand größte Universität Brasiliens. Zur USP gehören fünf Krankenhäuser, 70 Bibliotheken und 24 Museen – neben dem im Stadtteil Butantã gelegenen Hauptsitz verteilen sich die Institute und Institutionen auf acht weitere Campus im gesamten Bundesstaat São Paulo, der flächenmäßig etwa so groß ist wie Großbritannien.

Zum anderen, so die Analyse des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, ist sie „die forschungsstärkste und international bekannteste brasilianische Universität“. Nach Angaben von „Clarivate Analytics“ sind die USP-Forscher für rund 22 Prozent des gesamtbrasilianischen Wissenschafts-Outputs verantwortlich. Damals wie heute fanden und finden sich die USP-Absolventen in den höchsten Rängen der brasilianischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wieder.

Vor den Türen des USP-Rektorats stehen Hochschulpartner und an einer Zusammenarbeit interessierten Hochschulvertreter aus aller Welt – im übertragenen Sinne – Schlange. „Als Neuling hätten wir es heute schwer, eine derart vielseitige und intensive Kooperation aufzubauen“, betont Bernd Hellingrath. Jetzt zahle sich die Kontinuität und Kreativität der WWU aus, die seit rund 50 Jahren Kontakte nach Brasilien pflege und die mit der Gründung des Brasilien-Zentrums an der WWU und der Außenstelle in São Paulo in den Jahren 2010 und 2012 unter Beweis gestellt habe, dass sie an langfristigen wissenschaftlichen Kooperationen interessiert ist.

An diesem Vormittag hat ein Großteil des Rektorats mit Rektor Prof. Dr. Carlos Gilberto Carlotti Júnior in der 4. Etage des großen weißen Gebäudes Platz genommen. „Wir wollen gerne noch enger mit die WWU zusammenarbeiten“, unterstreicht Prorektor Prof. Dr. Marcio de Castro Silva Filho. Johannes Wessels stellt die WWU mit ihren aktuellen Schwerpunktthemen und Herausforderungen vor. Die Gastgeber interessieren sich besonders für die Exzellenzstrategie, die Unterstützung der WWU von an Gründungen interessierten Studierenden im „REACH EUREGIO Start-up Center“ der WWU und wie man die eigenen Promovenden „stimulieren“ könne, einen Teil ihrer Promotionszeit in Deutschland beziehungsweise an der WWU – oder in Brasilien – zu verbringen.

Dabei ist allein die Liste der „Kooperations-Highlights“ zwischen der WWU und der USP beeindruckend lang. 2007 beschlossen die Universitätsleitungen, auf Ebene der Hochschule zusammenzuarbeiten, was den Nährboden für eine Teilnahme an zahlreichen Programmen und großzügiger Förderung verschiedener Organisationen ebnete. Ob Rechtswissenschaft, Informatik, Physik, Psychologie, Musik, Medizin, Kunstgeschichte, Chemie, Biologie, Philologie: Die Liste der aktuell laufenden Forschungskooperationen umfasst mehr als 20 Themengebiete, an denen über 30 Wissenschaftler aus nahezu allen WWU-Fachbereichen beteiligt sind.

2022 schloss die WWU mit der USP ein sogenanntes Cotutelle-Abkommen ab. Dabei geht es vorrangig darum, dass Doktoranden ihre Promotionen unter der Betreuung von mindestens zwei Wissenschaftlern der teilnehmenden Universitäten und über mindestens sechs Monate an der jeweiligen Partneruniversität durchführen. Mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät gibt es seit 2017 ein Doppelpromotions-Abkommen, der Fachbereich Biologie etablierte 2016 ein bis heute erfolgreiches Doppel-Masterprogramm. „Mit der USP hat die WWU die umfangsreichsten und intensivsten wissenschaftlichen und akademischen Beziehungen. Die USP ist der wichtigste Kooperationspartner der WWU in Brasilien“, fasst Anja Grecko Lorenz zusammen.

Nach rund 45 Minuten verabschiedet sich der USP-Rektor, die neue Gesundheitsministerin wartet. Zuvor tauscht er mit Johannes Wessels Geschenke aus. „Es ist von großer Bedeutung, dass die WWU und die USP auf der höchsten Ebene im Gespräch bleiben“, betont Anja Grecko Lorenz. „Hinter unseren Gemeinschaftsprojekten steckt viel wissenschaftliche Substanz“, ergänzt Johannes Wessels, der seinen Gesprächspartner immer wieder von der engen Partnerschaft der WWU mit der Universität Twente berichtet und trilaterale Projekte anregt. „Die USP passt perfekt zu uns.“

Direkt im Anschluss fährt die WWU-Delegation – das Gelände des USP-Hauptcampus ist mehrere Quadratkilometer groß – mit dem Auto zum Gespräch mit Prof. Dr. Marcelo Zuffo, der das Innovationslabor der Universität São Paulo leitet. „Unsere Regierung pusht Innovationen“, betont der Ingenieur, der sich wie viele andere Gesprächspartner auch für die WWU-Strategie interessiert, junge Menschen zum Gründen eines eigenen Unternehmens zu animieren. Ein Ideenaustausch mit den „REACH“-Verantwortlichen ist ausdrücklich erwünscht, erste Gespräche über gemeinsame Interessen und Aktivitäten haben bereits stattgefunden.

Besuch bei der Förderorganisation FAPESP

Hoch oben im 14. Stock residiert Prof. Dr. Marco Antonio Zago. Von seinem Büro hat er einen großartigen Ausblick auf eine der zentralen Verkehrsachsen durch São Paulo, der Avenida Paulista. Allerdings nicht an diesem Nachmittag, denn es regnet wie aus Kübeln in der brasilianischen Wirtschafts- und Wissenschaftsmetropole. Und ohnehin nur übergangsweise, denn in wenigen Monaten steht für den Präsidenten und seine Mitarbeiter der Rück-Umzug in die Zentrale der „Stiftung zur Forschungsförderung des Bundesstaats São Paulo“ (FAPESP) im Stadtteil Lapa an. An dem Gespräch nehmen auch USP-Vertreter teil, was erneut zeigt, welchen Stellenwert die Universität São Paulo ihrer Zusammenarbeit mit der WWU beimisst.

Seit 2014 gibt es ein institutionelles Abkommen der WWU mit FAPESP. Kern der Zusammenarbeit sind gemeinsame Ausschreibungen von „Seed funding“ zur Vorbereitung gemeinsamer Forschungsprojekte von Forschern der WWU und Institutionen aus dem Bundesstaat São Paulo. Das Programm nennt sich „Sprint“, bei dem mit vergleichsweise wenig Geld Interessenten in die Lage versetzt werden, große Forschungsanträge gemeinsam anzugehen. Bei diesem Programm war die WWU bereits mehrfach erfolgreich, bei der aktuellen Ausschreibung ist die WWU mit vier Anträgen im Rennen. Einmal mehr zeigt sich, dass es in der Wissenschaft im Wesentlichen um zwei Fragen geht: Woran können wir konkret zusammen forschen? Wie kommen wir an das dafür notwendige Geld?

Bei beiden Fragen ist man bei FAPESP, deren Funktion und Arbeitsweise man mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergleichen kann, an der genau richtigen und entscheidenden Adresse im Bundesstaat und der Stadt São Paulo. Der Stiftung stehen jährlich ein Prozent der Umsatzsteuer des Bundesstaats zur Verfügung – kein anderer brasilianischer Bundesstaat investiert so viel Geld in Wissenschaft und Forschung. Im vergangenen Jahr stellte FAPESP rund 243 Millionen Euro bereit, aufgeteilt beispielsweise in Forschungsprojekte (47 Prozent), Stipendien inklusive Auslandsaufenthalte (19 Prozent) und Innovationsforschung in Zusammenarbeit mit Unternehmen (neun Prozent).

„Wir müssen Forschung und Transfer immer zusammendenken“, unterstreicht Rektor Johannes Wessels. Zudem gelte es, Forschungsprojekte maximal interdisziplinär anzugehen und gleichzeitig die Industrie einzubeziehen, um die großen Probleme der Menschheit wie etwa den Klimawandel und dessen Folgen zu lösen. Ein Thema, das im Amazonas-Land naturgemäß auf großes Interesse stößt. „Die letzten beiden Regierungen waren wenig interessiert an den Problemen und Herausforderungen in dieser Region, in der immerhin 25 Millionen Menschen leben“, sagt Marco Antonio Zago. 100 Millionen Euro will FAPESP im Schulterschluss mit möglichst vielen Anrainer-Bundesstaaten in „Amazon+10-Initiative“ mobilisieren, um einen Beitrag zum Erhalt der „grünen Lunge der Menschheit“ zu leisten. Ohnehin hat FAPESP Biodiversität, Klimawandel, Bioenergie und die Weiterentwicklung des Gesundheitssektors zu prioritären Themen erklärt.

Man wolle zudem weiterhin in den Austausch von Gastprofessoren und Post-Docs investieren, ergänzt der seit 2018 amtierende FAPESP-Präsident, der zuvor unter anderem als USP-Rektor gearbeitet hat und seit 1999 Mitglied der brasilianischen Akademie der Wissenschaften ist. Einmal im Jahr präsentiert sich die Stiftung mit einer „FAPESP-Woche im Ausland, um für ihre Arbeit und Programme zu werben. London, Paris, Barcelona und Tokio waren einige der Standorte für diese Art „Roadshow“. „Beim nächsten Mal kommen wir gerne nach Münster“, stellt er in Aussicht.

Botschafter Heiko Thoms (3.v.l.) empfing die Gäste der WWU in seiner Residenz, die gleichzeitig als Botschaft dient.
Botschafter Heiko Thoms (3.v.l.) empfing die Gäste der WWU in seiner Residenz, die gleichzeitig als Botschaft dient.
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Arbeitsessen mit Botschafter Heiko Thoms, Brasilia

Die Adresse der deutschen Botschaft lautet SES, 807, Brasilia. In der vom berühmten Architekten Oscar Niemeyer geplanten und 1960 offiziell gegründeten Hauptstadt, deren Struktur von oben einem Flugzeug mit einem Rumpf und zwei Flügeln ähnelt, gibt es keine Straßennamen. Man orientiert sich bei allen Adressen an der Himmelsrichtung und der Anzahl der jeweiligen Wohn- und Büroblocks. Seit 2020 repräsentiert Heiko Thoms Deutschland in Brasilien. Zuvor hat der an der FU Berlin ausgebildete Jurist unter anderem als Diplomat bei den Vereinten Nationen in New York und bei der Nato in Brüssel gearbeitet.

Er ist über die intensiven Beziehungen der WWU zu brasilianischen Hochschulen und Förderorganisationen bestens informiert. „Sprechen Sie mich und die Botschaft gerne jederzeit an, wenn wir etwas für Sie und die WWU hier vor Ort tun können“, bietet er Rektor Johannes Wessels an. Traditionell unterhält das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) in São Paulo, in dem auch die WWU ihr Verbindungsbüro hat, enge Kontakte zu den diplomatischen Vertretungen Deutschlands in Brasilien – nicht zuletzt, weil das DWIH auch mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes gegründet wurde und nach wie vor finanziert wird.

Heiko Thoms hebt die große Bedeutung des Austauschs der Rechtswissenschaftlichen Fakultät mit dem Obersten Gerichtshof Brasiliens hervor – dessen Bedeutung für die Stabilität im Lande könne man nicht hoch genug einschätzen. Er nehme vor allem in den jüngeren Generationen in Brasilien ein „großes Kreativpotenzial“ wahr, man müsse den „vielen brillanten jungen Menschen“ möglichst viel Gestaltungsspielraum bieten. Wer oft in Deutschland unterwegs ist, wird schnell nachvollziehen, wenn der Diplomat versichert, dass „Deutschland auch bei der Digitalisierung viel von Brasilien lernen kann“.

Besuch in der „Koordinierungsstelle für die Fortbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ (Capes), Brasilia

Rund anderthalb Stunden Zeit nimmt sich Prof. Dr. Mercedes Bustamante, die vor Kurzem zur Capes-Präsidentin ernannt wurde. Zu Beginn und am Ende des Gesprächs im 14. Stock streut die gebürtige Chilenin einige Sätze auf Deutsch ein. Von 1989 bis 1993 hat sie in Geobotanik an der Universität Trier promoviert. Sie ist Expertin für Wechselwirkungen in Ökosystemen und Inhaberin eines Lehrstuhls am Ökologie-Institut an der Universität Brasilia. „Wir sind sehr froh darüber, dass der neue Staatspräsident die Verbesserung der internationalen Beziehungen Brasiliens wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt hat“, betont sie zu Beginn des Gesprächs, an dem auch der Direktor für internationale Beziehungen, Rui Oppermann, teilnimmt. Das Aufatmen über den Regierungswechsel zieht sich durch die gesamte Reise und ist Thema in nahezu jedem Gespräch.

Mit Capes leitet die Wissenschaftlerin eine mächtige Förderinstitution. Jeder Stipendiums-Antrag, gleich ob sogenannte Incomings oder Outgoings betreffend, durchläuft die Koordinierungsstelle, die zudem die regelmäßige Akkreditierung aller brasilianischen Studiengänge organisiert und verantwortet. In den Jahren 2011 bis 2016 vergab Capes rund 100.000 Master-, Promotions- und Postdoc-Stipendien für weltweite Studiums- und Forschungsaufenthalte. 67 Brasilianer kamen auf Basis dieses Programms an die WWU.

Rektor Johannes Wessels berichtet von der engen Bindung der WWU an die Universität Twente, die wiederum intensiv mit der Universität São Paulo kooperiert – und macht sich für die Förderung von trinationalen Forschungsprojekten stark. Im Jahr 2011 schloss die WWU ein institutionelles Abkommen mit Capes ab, im vergangenen Jahr wurde das Abkommen verlängert. Ein zentrales Element dieser Vereinbarung ist die Etablierung eines „Brazil chairs“ an der WWU, um damit die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Wissenschaftlern auszubauen, Netzwerke zu kreieren und die Sichtbarkeit der Leistungen brasilianischer Spitzenforscher zu verbessern. Konkret: 18 Monate Aufenthalt in Münster, die optional in drei Besuche à sechs Monate aufgeteilt werden können. Hinzu kommt die Finanzierung eines Doktoranden und eines Postdocs. In der aktuellen Ausschreibung kommen vier WWU-Wissenschaftler als Gastgeber in Frage, darunter der Politikwissenschaftler Norbert Kersting und der Mediziner Martin Götte. „Wir sind gerne und jederzeit bereit, die eindrucksvollen Anstrengungen der WWU zu mehr Kooperationen mit brasilianischen Wissenschaftseinrichtungen zu unterstützen“, unterstreicht Mercedes Bustamante.

Der designierte Fiocruz-Präsident Rodrigo Correa (l.) und WWU-Rektor Johannes Wessels vereinbarten eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.
Der designierte Fiocruz-Präsident Rodrigo Correa (l.) und WWU-Rektor Johannes Wessels vereinbarten eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.
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Unterzeichnung eines „Memorandums of Understanding“ mit der Oswaldo-Cruz-Stiftung, Rio de Janeiro (Fiocruz)

Fiocruz ist in Brasilien eine landesweit bekannte und hochgeschätzte Institution – aus mehreren Gründen. Im Jahr 1900 gründete der Arzt, Bakteriologe, Epidemiologe und Hygieniker Oswaldo Cruz ein Institut, aus der später die heutige Stiftung hervorging, die dem Gesundheitsministerium untersteht. Mit rund vier Milliarden Euro fördert sie die nationale Forschung und internationale Kooperationen – rund 50 Prozent dieses Etats sind jedoch seit Beginn der Corona-Pandemie für die Produktion von täglich einer Million Dosen des Astra-Zeneca-Impfstoffs reserviert.

12.000 Beschäftigte in mehreren, über das Land verteilten Anlaufstellen, 48 eigene Studienprogramme, neun Magazine, ein eigener Fernsehkanal: Fiocruz, an der Avenida Brasil im Stadtteil Manguinhos auf einem parkähnlichen Gelände gelegen, ist nicht nur in Brasilien und Lateinamerika ein „Big Player“. Die Stiftung gilt als eine der weltweit wichtigsten Forschungseinrichtungen für das öffentliche Gesundheitswesen. Ein Beleg ist dafür auch, dass Staatspräsident Lula die Fiocruz-Präsidentin zur neuen Gesundheitsministerin ernannt hat.

Und so ist es an diesem Vormittag der designierte neue Präsident Rodrigo Correa, der mit sechs weiteren Beschäftigten die WWU-Delegation empfängt. Sein Kollege Vinicius Cotta berichtet von der weltweiten Fiocruz-Vernetzung. Mit deutschen Partnern gibt es 28 laufende Projekte. Zu Stephan Ludwig, der an der Universität Münster das Institut für molekulare Virologie leitet, gibt es eine besonders lange und intensive Verbindung. In der kommenden Woche wird es einen Online-Workshop von Fiocruz- und WWU-Wissenschaftlern zu der Frage geben, inwieweit Naturprodukte bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten helfen können.

Johannes Wessels stellt die WWU vor und hebt die Bedeutung der Themen Nachhaltigkeit und Transfer hervor – die Fortschritte und Initiativen des Start-up-Centers „REACH“ der WWU stoßen auch in diesem Kreis auf großes Interesse. Das gilt auch für die Möglichkeit, für eine weitere Zusammenarbeit die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit einer möglichen Ko-Finanzierung einzubeziehen. Warum nicht beim Cotutelle-Programm mit einer binationalen Promotion zusammenarbeiten? Die Anregung einer Fiocruz-Mitarbeiterin nimmt der wissenschaftliche Leiter des Brasilien-Zentrums, Bernd Hellingrath, gerne auf.

Und dann wird es für einige Moment feierlich: Johannes Wessels unterschreibt das „Memorandum of understanding“, mit dem die WWU und Fiocruz ihren Willen bekräftigen, weiterhin auf mehreren Feldern zu kollaborieren.

Der Leiter der DAAD-Außenstelle Rio de Janeiro, Jochen Hellmann (2.v.l.), und sein Team empfingen die Gäste aus Münster in ihrem Haus im Stadtteil Botafogo.
Der Leiter der DAAD-Außenstelle Rio de Janeiro, Jochen Hellmann (2.v.l.), und sein Team empfingen die Gäste aus Münster in ihrem Haus im Stadtteil Botafogo.
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Austausch in der Außenstelle Rio de Janeiro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD)

Die DAAD-Repräsentanz im Stadtteil Botafogo zählt zu den ältesten weltweit. Im vergangenen Jahr feierte der Austauschdienst rund um Außenstellenleiter Dr. Jochen Hellmann ihre seit 50 Jahren währenden Anstrengungen, um die akademische und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Deutschland zu stärken. „In Gedanken rollen wir Ihnen heute einen roten Teppich aus“, begrüßt Jochen Hellmann die münstersche Delegation. Die WWU schreite mit ihren Aktivitäten in Brasilien „beispielhaft“ voran.

Wie lassen sich gleichwohl die Zahlen der Interessenten, die im jeweils anderen Land studieren wollen, erhöhen? Jochen Hellmann spricht sich dafür aus, die Hochschul-Zulassungshürden für Brasilianer in Deutschland zu senken, indem man beispielsweise deren Sekundarschul-Abschlüsse akzeptiert. Auf der anderen Seite gelte es, jungen Deutschen die vielfältigen Möglichkeiten aufzuzeigen, in Brasilien Wissen zu erwerben, Freundschaften zu schließen und den eignen Horizont zu erweitern. In der Forschung gebe es in Brasilien ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Vorteile internationaler Kooperationen, bei den Studierenden sei dies dagegen noch nicht angekommen. Stattdessen gebe nach wie vor auf beiden Seiten viel Unwissen und Vorurteile. Allerdings gelte es zu berücksichtigen, dass die brasilianischen im Vergleich zu den europäischen Hochschulen sehr jung seien und sich die in Europa und Nordamerika etablierte Austauschkultur in Brasilien noch entwickeln müsse. Derzeit studieren etwa 7.000 Brasilianer in Deutschland, umgekehrt sind es nur rund 700.

Die Sorge vor der Abwanderung talentierter Köpfe, der sogenannte „brain drain“, sei in den vergangenen Tagen mehrfach angesprochen worden, berichtet Rektor Johannes Wessels. Deswegen müsse man junge Brasilianer „dazu ermutigen, ihr akademisches Wissen auch für die Gründung eines eigenen Unternehmens einzusetzen“ – eine Professur sei nur einer von mehreren Karrierewegen. 

Es ist nur ein Detail, aber es zeigt, wie aufmerksam die DAAD-Mitarbeiter im fernen Brasilien die Entwicklungen an den deutschen Hochschulen verfolgen: „Darf man Sie noch als Vertreter der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ansprechen?“, fragt Jochen Hellmann in Anspielung um die mögliche Trennung der WWU von ihrem Namensgeber, Wilhelm II.. „Sie dürfen“, antwortet Johannes Wessels. „Zumal allein unser Senat über unseren Namen entscheidet und Sie deswegen heute ausschließlich mit WWU-Mitarbeitern sprechen, die in dieser Angelegenheit nichts zu entscheiden haben.“

Fotos, 9. Februar 2023

Die Leiterin der WWU-Außenstelle, Laura Redondo (r.), zeigte Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels (2.v.r.), dem wissenschaftlichen Leiter des Brasilien-Zentrums, Prof. Dr. Bernd Hellingrath, und der Geschäftsführerin des Brasilien-Zentrums, Anja Grecko Lorenz, ihr Büro in São Paulo.
Die Leiterin der WWU-Außenstelle, Laura Redondo (r.), zeigte Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels (2.v.r.), dem wissenschaftlichen Leiter des Brasilien-Zentrums, Prof. Dr. Bernd Hellingrath, und der Geschäftsführerin des Brasilien-Zentrums, Anja Grecko Lorenz, ihr Büro in São Paulo.
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  • An der Universität São Paulo stand für die WWU-Delegation um Rektor Johannes Wessels (l.) auch der Besuch eines Physik-Labors an.
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  • Rektor Johannes Wessels (r.) und Pressesprecher Norbert Robers im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus in São Paulo.
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  • Im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus diskutierte man auf Einladung des Programmleiters des Deutschen Wissenschafts- und Innovationhauses, Marcio Weichert (3.v.r.), in großer Runde.
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  • Ein Mitarbeiter der Brasiliana-Bibliothek der Universität São Paulo zeigte Rektor Johannes Wessels (r.) und Bernd Hellingrath einige besondere Buchschätze – hier ein Exemplar aus dem Jahr 1556.
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  • Das Foyer der Brasiliana-Bibliothek.
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  • Nach einem ausführlichen Gespräch dankte der Präsident der Förderorganisation FAPESP, Prof. Dr. Marco Antonio Zago (3.v.l.), der münsterschen Delegation für das Gastgeschenk.
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  • Auch der Rektor der Universität São Paulo, Prof. Dr. Gilberto Carlotti Junior (l.), empfing Rektor Johannes Wessels.
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  • Rektor Johannes Wessels (stehend) erläuterte den Gastgebern der Universität São Paulo in einer Kurz-Präsentation die Struktur der WWU.
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  • Nach dem Gespräch mit dem Rektorat der Universität São Paulo trug sich Rektor Johannes Wessels ins Gästebruch ein.
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"Das Brasilien-Zentrum hat sich bewährt"

Videointerview mit Prof. Dr. Bernd Hellingrath

In einem Interview erklärt Prof. Dr. Bernd Hellingrath, wie die WWU und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von dem Brasilien-Zentrum profitieren. Zudem berichtet er davon, wie Kooperationsprojekte aussehen können und wer sich mit Projektideen an ihn wenden kann.

In einem Interview erklärt Prof. Dr. Bernd Hellingrath, wie die WWU und ihre Mitarbeitenden von dem Brasilien-Zentrum profitieren. Zudem berichtet er davon, wie Kooperationsprojekte aussehen können und wer sich mit Projektideen an ihn wenden kann.
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  • "Ich habe noch heute Sehnsucht nach Münster"

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    Ehrenbotschafter Abilio Baeta Neves über seine WWU-Zeit und das Wissenschaftsklima in Brasilien
    Abilio Baeta Neves
    Abilio Baeta Neves
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    Auf Einladung des Rektorats der Universität São Paulo (USP) nahm auch Prof. Dr. Abilio Baeta Neves am Austausch mit WWU-Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels und der münsterschen Delegation des Brasilien-Zentrums teil. Von 1977 bis 1981 promovierte Baeta Neves an der WWU in Politikwissenschaft. In den folgenden Jahrzehnten war er unter anderem Vorsitzender des deutsch-brasilianischen Kulturinstituts und zwei Mal Präsident der mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst vergleichbaren brasilianischen Förderagentur CAPES. 2011 zeichnete ihn die WWU als Ehrenbotschafter aus. Norbert Robers sprach mit dem emeritierten Hochschullehrer über seine Zeit in Münster und die brasilianische Hochschulpolitik.


    Wenn Sie heute an Münster und an Ihre Zeit an der WWU denken, was fällt Ihnen als erstes dazu ein?
    Dass ich in dieser gemütlichen Stadt eine großartige Zeit verbracht habe. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich noch heute manchmal Sehnsucht nach Münster habe. Ich habe dort viele Freunde gefunden. Ich war zuletzt im Januar 2020 dort, danach konnte ich wegen der Pandemie nicht mehr dorthin reisen. Aber das ändert sich hoffentlich schnell. Ich möchte in diesem Jahr wieder nach Münster kommen und unter anderem meinen Doktorvater Rainer Frey besuchen.

    Sie kennen die WWU von heute – als Sie vor rund 45 Jahren nach Münster kamen, ging es vermutlich sehr viel anders zu…
    Natürlich, aber das gilt ja für jede Universität. Für mich war etwas anderes viel wichtiger. Die Struktur der Universität, die Organisation, die hohe Qualität der Lehre und Forschung: Es war nach meinem Studium der Sozialwissenschaft in Brasilien eine komplett andere Welt für mich. Ich habe in Münster eine neue akademische Kultur kennengelernt, die für meinen weiteren Werdegang von großer Bedeutung war.

    Die USP ist für viele ausländische Universitäten ein attraktiver Partner – was macht die WWU aus Sicht der USP so attraktiv?
    Wenn man sich beispielsweise unsere Kontakte in die USA anschaut, dann handelt es sich meistens um persönliche Kontakte. Mit deutschen Universitäten wie etwa der WWU gibt es natürlich auch viele individuelle Kooperationen zwischen einzelnen Wissenschaftlern, aber eben auch institutionelle Vereinbarungen, was meiner Überzeugung nach sowohl für den einzelnen Forscher, aber auch mit Blick auf die wissenschaftlichen Resultate und die jeweilige Institution von Vorteil ist. Die WWU setzt zudem bei unserer Zusammenarbeit klare inhaltliche Prioritäten, was ich für sehr wichtig halte. Mein Rat an das USP-Rektorat ist: Schickt eine Delegation nach Münster, um unser Miteinander weiter zu vertiefen. Aber auch, um beispielsweise zu verstehen, was der ,Exzellenzstrategie‘-Wettbewerb für Deutschland und die einzelnen Universitäten bedeutet. Dadurch hat sich eine neue Dynamik im deutschen Wissenschaftssystem ergeben, wovon wir lernen können – denn die USP ist im Grunde eine sehr konservative Universität.

    Apropos Dynamik: Die deutsche Öffentlichkeit hat in den vergangenen Jahren mit großem Interesse die politische Entwicklung in Brasilien verfolgt – auf die Regierung Lula da Silva folgten Dilma Rousseff, Jair Bolsonaro und seit Januar 2023 wieder Lula da Silva. Welchen Einfluss hatten diese Regierungswechsel auf die brasilianische Wissenschaftspolitik?
    Es kam einer Katastrophe gleich, dass die Pandemie in die Regierungszeit von Bolsonaro fiel. Wir hatten damit zwei große Probleme zur gleichen Zeit. Die Haltung seiner Regierung gegenüber den Universitäten war äußerst negativ. Wir müssen abwarten, inwieweit die neue Regierung in der Lage und bereit ist, wieder mehr Geld in die Wissenschaft zu investieren. Aber schon jetzt steht fest: Das allgemeine gesellschaftliche Klima hat sich deutlich verbessert.

  • Leiterin der WWU-Außenstelle in São Paulo: Für Laura Redondo ist das Heimspiel ein Traumjob

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    Laura Redondo sitzt am Schreibtisch.
    Laura Redondo bei der Arbeit – ihr Büro befindet sich im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) in São Paulo.
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    Alles deutet darauf hin, dass Laura Redondo ihren Traumjob an der Universität Münster gefunden hat – allerdings knapp 10.000 Kilometer von Münster entfernt. Seit November 2019 leitet die 36-Jährige als Nachfolgerin von Anja Grecko Lorenz das Außenbüro der WWU in São Paulo: Sie organisiert Veranstaltungen, stellt in enger Abstimmung mit dem Brasilien-Zentrum der WWU Kontakte für Studierende und Wissenschaftler aus Münster her, begleitet die mittlerweile zahlreichen Gäste aus Münster zu Instituten und Hochschulen in der brasilianischen 22-Millionen-Einwohner-Metropole und vieles mehr. „Meine drei Hauptaufgaben könnte man mit nur einem Begriff zusammenfassen: vernetzen, vernetzen und vernetzen“, sagt sie. „Dennoch könnte ich mir keine abwechslungsreichere und interessantere Tätigkeit vorstellen“, betont die gebürtige Paulistana, wie sich die Bewohner São Paulos nennen.

    Als sie vor gut drei Jahren diese Aufgabe übernahm, musste sie nur ihr Erdgeschoss-Büro im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) in der Rua Verbo Divino wechseln. Sieben Jahre lang hatte sie zuvor für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gearbeitet, deren Büro direkt gegenüber dem der WWU liegt. Mit ihrem Verbindungsbüro zählt die WWU zu den Gründungsmitgliedern des DWIH, in dem beispielsweise auch die TU München, die FU Berlin und die Fraunhofer-Gesellschaft Anlaufstellen vor Ort bieten – inklusive der „assoziierten Unterstützer“ zählt das DWIH mittlerweile 27 Mitglieder. „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als Partner, die gemeinsam für den Standort Deutschland werben“, unterstreicht der Leiter der DWIH-Programmarbeit, Marcio Weichert.

    Nach ihrem Studium der Internationalen Beziehungen an der Päpstlichen Katholischen Universität von São Paulo arbeitete Laura Redondo zunächst im Marketingbüro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, bevor sie zur DFG wechselte. Keine Frage: Sie kennt das brasilianische Wissenschafts-und Hochschulsystem aus dem vielzitierten „Effeff“; sie weiß, wann sie wo zugunsten der WWU nach interessanten Ausschreibungen suchen muss und welche Förderorganisationen man auf welche Weise ansprechen muss. Falls gewünscht, berät sie auch junge Brasilianer, die sich für ein Studium an der Universität Münster interessieren, in ihrem kleinen Büro – manchmal inklusive der Eltern.

    Besonders froh ist die Mutter einer zweijährigen Tochter darüber, dass sich rund 230 Brasilianer, die entweder an der WWU als Wissenschaftler gearbeitet oder an der WWU studiert haben, in einem Alumni-Club zusammengefunden haben – dazu zählen auch einige einflussreiche und prominente Entscheidungsträger. Einmal pro Jahr organisiert Laura Redondo ein Jahrestreffen, der Club wächst stetig. Bei ihrer Arbeit kommt ihr sicher auch zugute, dass sie perfekt Deutsch spricht – dafür reichte ihr im Jahr 2003 ein nur ein Jahr dauernder Schüleraustausch nach Oldenburg.

  • Dichtes Programm bei Freunden und Partnern

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    Rektor Prof. Dr Johannes Wessels (l.), der wissenschaftliche Leiter und die Geschäftsführerin des Brasilien-Zentrums der WWU, Prof. Dr. Bernd Hellingrath und Anja Grecko Lorenz (r.) sowie die Leiterin der WWU-Außenstelle in São Paulo, Laura Redondo, tauschten sich auf der am Sonntag autofreien Avenida Paulista in São Paulo über die ersten Programmpunkte aus.
    Rektor Prof. Dr Johannes Wessels (l.), der wissenschaftliche Leiter und die Geschäftsführerin des Brasilien-Zentrums der WWU, Prof. Dr. Bernd Hellingrath und Anja Grecko Lorenz (r.) sowie die Leiterin der WWU-Außenstelle in São Paulo, Laura Redondo, tauschten sich auf der am Sonntag autofreien Avenida Paulista in São Paulo über die ersten Programmpunkte aus.
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    Eine lange Anreise, rund 15 Termine an fünf Tagen in drei Städten, zwei abendliche Inlandsflüge: Es ist ein dichtes Programm, das für den Rektor der Universität Münster, Prof. Dr. Johannes Wessels, und eine kleine Delegation aus Münster ab heute (6. Februar) im flächenmäßig fünftgrößten Staat der Erde ansteht. Seit rund 50 Jahren kooperieren WWU-Wissenschaftler mit brasilianischen Kollegen, organisieren zahlreiche Institute den gegenseitigen Austausch von Studierenden und Doktoranden. 2010 gründete die WWU in Folge des stetig steigenden Interesses das „Brasilien-Zentrum“, das seitdem als organisatorisch-wissenschaftlicher Dreh- und Angelpunkt fungiert – die WWU hat sich in dem 215 Millionen Einwohnern zählenden Staat zu einer der aktivsten deutschen Universitäten entwickelt. „Brasilien ist das mit Abstand forschungsstärkste Land in Lateinamerika“, betont Johannes Wessels. „Von dieser Zusammenarbeit profitieren erfahrungsgemäß alle Partner. Und deswegen ist es von großer Bedeutung, dass wir bestehende Kontakte pflegen und neue Kooperationen anbahnen. Ich bin gespannt und freue ich mich auf die Gespräche.“

    Dazu wird er in São Paulo, in der Hauptstadt Brasilia und in Rio de Janeiro reichlich Gelegenheit haben. Mit Unterstützung des wissenschaftlichen Leiters und der Geschäftsführerin des Brasilien-Zentrums, Prof. Dr. Bernd Hellingrath und Anja Grecko Lorenz, wird Johannes Wessels unter anderem mehrere Partner-Universitäten und -Institute der WWU, die deutsche Botschaft, die wichtigste brasilianische Förderagentur „Capes“ und das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus besuchen, in dem die WWU seit 2012 ein Verbindungsbüro unterhält – deren Leiterin Laura Redondo zählt ebenfalls zum WWU-Team. Mit seinem Besuch unterstreicht das Rektorat seine Absicht, die „Relevanz der strategischen Partnerschaft der WWU mit Brasilien hervorzuheben“ und weiterzuentwickeln. Daneben wird sicher auch häufig die Frage diskutiert werden, wie sich das Land nach dem Regierungswechsel im Januar unter Präsident Lula da Silva auf allen gesellschaftlichen Feldern positionieren wird – etwa in der Wissenschaftspolitik. Sein Vorgänger Jair Bolsonaro hatte zum Teil rigide Einsparungen in den Bildungs- und Wissenschaftsetats durchgesetzt. Jetzt scheint Brasilien entschlossen zu sein, diesen Kurs zu korrigieren – nicht zuletzt, um der Abwanderung von Talenten zu begegnen und eine nachhaltige Landesentwicklung zu garantieren.

    Einige Zahlen sind Beleg für das enorme Potenzial, das der südamerikanische Riesenstaat – Brasilien ist 24 Mal so groß wie Deutschland – bietet. Im Vergleich zu Europa und Deutschland ist die brasilianische Hochschullandschaft sehr jung. Die erste Universität, die Universidade Federal do Paraná, wurde erst 1912 in Curitiba im Südosten des Landes gegründet. Mittlerweile gibt es mehr als 2.600 Hochschulen, von denen rund 2.300 privat geführt werden – der Rest teilt sich in 110 Bundes-, 132 Landes-Universitäten sowie zahlreiche kommunale Universitäten auf. Rund 8,6 Millionen Studierende hoffen, mit einer hochwertigen akademischen Ausbildung einer erfolgreichen Zukunft entgegenstreben zu können – unter allen Arbeitslosen ist die Gruppe der 20- bis 24-Jährigen mit rund 30 Prozent die größte.
    Während der Anteil der ausländischen Studierenden in Brasilien mit nur 0,25 Prozent (an der WWU sind rund acht Prozent internationale Studierende eingeschrieben) sehr gering ist, streben viele Institute und Universitäten intensiver denn je nach internationalen Kooperationen. Mit guten Chancen für die 422 Hochschulen zwischen Flensburg und Konstanz. „Die deutschen Universitäten genießen in Brasilien sowohl in den Geistes- und Sozialwissenschaften als auch in den Natur- und Ingenieurwissenschaften einen hervorragenden Ruf“, schreibt der Deutsche Akademische Austauschdienst in seiner „Bildungssystemanalyse 2021“. Im Jahr 2020 gab es laut „Hochschulkompass“ bereits 670 brasilianisch-deutsche Hochschulkooperationen.

    Alles nur graue Theorie? Im Gegenteil. Zahlreiche WWU-Wissenschaftler wissen von konkreten und positiven Ergebnissen ihrer zum Teil langjährigen Kooperationen zu berichten. Der Virologe Prof. Dr. Stephan Ludwig, der als damaliger Forschungs-Prorektor am Aufbau des Brasilien-Zentrums maßgeblich beteiligt war, kooperiert beispielsweise mit „Fiocruz“, der größten brasilianischen Forschungsinstitution in der Biomedizin – eine Postdoktorandin wechselte für ein Jahr aus Rio nach Münster. Rektor Johannes Wessels wird am kommenden Donnerstag mit Fiocruz eine Vereinbarung über eine Intensivierung des wissenschaftlichen Miteinanders unterzeichnen. „Die Zusammenarbeit eröffnet nicht nur neue Forschungsfelder, sondern bringt auch sehr begabte Wissenschaftler in unsere Labors“, betont er.

    Weitere Beispiele:

    • Das Institut für Geoinformatik organisierte im August 2022 den ersten deutsch-brasilianischen „EdTech Hackathon“. Der Sieger hatte ein kostengünstiges Gerät entwickelt, das zur musikalischen Bildung in brasilianischen Schulen zum Einsatz kommen soll.
    • Im März 2022 unterzeichnete Bernd Hellingrath an der „Universität São Paulo“ ein Abkommen, mit dem an allen WWU-Fachbereichen binationale Promotionen gefördert werden.
    • Im Februar 2020 war das Institut für pharmazeutische Biologie und Phytochemie Gastgeber einer Arbeitstagung und einer Winter School, bei der sich Professoren und Promovierende aus Münster und São Paulo über Strategien zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten austauschten. „Jedes Treffen führt zu neuen Ideen, gemeinsamen Forschungsprojekten und zu vielen neuen deutsch-brasilianischen Freundschaften“, bilanzierte Prof. Dr. Thomas Schmidt.

    Das Brasilien-Zentrum der WWU half auch der Rechtswissenschaftlichen Fakultät beim Aufbau von intensiven Kontakten zum Obersten Gerichtshof in Brasilia. Zu den Themen Digitalisierung im Recht und Populismus gab es mehrere Webinare, an der jeweils zwei Professoren aus Brasilien und von der WWU teilnahmen, die Fakultät und der Gerichtshof tauschen regelmäßig wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden aus. „Eine großartige Gelegenheit, die Perspektive zu wechseln und dabei dazuzulernen“, unterstreicht WWU-Völkerrechtler Prof. Dr. Niels Petersen.